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4 Beweise

4.1 Herleitung der Weber-Maxwell-Kraft aus den Maxwell-Gleichungen

Voraussetzungen

Man kann die Weber-Maxwell-Kraft (2.3.1) aus den Maxwellgleichungen herleiten. Wir betrachten zunächst die Maxwellgleichungen aus der Perspektive einer ruhenden Probeladung $q_d$. Die Lorentzkraft (2.1.5) vereinfacht sich im Ruhesystem der Probeladung zu
$$\vec{F}_M = q_d\,\vec{E}.$$ (4.1.1.1)
Außerdem wollen wir annehmen, dass das die Felder $\vec{E}$ und $\vec{B}$ durch eine bewegte Punktladung $q_s$ erzeugt werden. Die Ladungsdichte dieser Punktladung lautet
$$\rho = q_s\,\delta(\vec{r} - \vec{r}_s(t)).$$ (4.1.1.2)
wobei $\vec{r}_s(t)$ der Ort der Punktladung $q_s$ zum Zeitpunkt $t$ ist. Für die Stromdichte gilt
$$\vec{j} = \dot{\vec{r}}_s(t)\,\rho.$$ (4.1.1.3)


Herleitung der Wellengleichung

Ableiten der vierten Maxwellgleichung (2.1.4) nach der Zeit liefert
$$\nabla\times\frac{\partial\vec{B}}{\partial t} = \mu_0\,\frac{\partial\vec{j}}{\partial t} + \frac{1}{c^2}\,\frac{\partial^2\vec{E}}{\partial t^2}.$$ (4.1.2.1)
Einsetzen der dritten Maxwellgleichung (2.1.3) ergibt
$$\frac{1}{c^2}\,\frac{\partial^2\vec{E}}{\partial t^2} = -\mu_0\,\frac{\partial\vec{j}}{\partial t} - \nabla\times\left(\nabla\times\vec{E}\right).$$ (4.1.2.2)
Wegen $\nabla\times\left(\nabla\times\vec{E}\right) = \nabla\left(\nabla\cdot\vec{E}\right) - \nabla^2\vec{E}$ folgt unter Verwendung der ersten Maxwellgleichung (2.1.1) und $\mu_0 = 1/(\varepsilon_0\,c^2)$
$$\left(\frac{1}{c^2} \frac{\partial^2}{\partial t^2} - \nabla^2\right)\,\vec{E} = - \frac{1}{\varepsilon_0}\,\left(\frac{1}{c^2}\,\frac{\partial\vec{j}}{\partial t} + \nabla\,\rho\right).$$ (4.1.2.3)
Unter Verwendung der Gleichungen (4.1.1.1), (4.1.1.2) und (4.1.1.3) folgt schließlich die Wellengleichung
$$\left(\frac{1}{c^2} \frac{\partial^2}{\partial t^2} - \nabla^2\right)\,\vec{F}_M = - \frac{q_d\,q_s}{\varepsilon_0}\,\left(\frac{1}{c^2}\,\frac{\partial}{\partial t}\,\dot{\vec{r}}_s(t)\,\delta(\vec{r} - \vec{r}_s(t)) + \nabla\,\delta(\vec{r} - \vec{r}_s(t))\right).$$ (4.1.2.4)


Lösung der Wellengleichung

Die Wellengleichung (4.1.2.4) lässt sich lösen. Der Lösungweg ist in [22] Abschnitt IV beschrieben, findet sich aber auch in manchen Lehrbüchern, wie z.B. dem Jackson [16]. Die Lösung lautet
$$\vec{F}_M = -q_d\,\left(\frac{\partial}{\partial t} \vec{A} + \nabla\,\Phi\right)$$ (4.1.3.1)
mit
$$\Phi = \frac{q_s\,c}{4\,\pi\,\varepsilon_0\,\left(c^2\,(t - \tau) - \dot{\vec{r}}_s(\tau)\cdot\left(\vec{r} - \vec{r}_s(\tau)\right)\right)},$$ (4.1.3.2)
$$\vec{A} = \frac{1}{c^2}\,\dot{\vec{r}}_s(\tau)\,\Phi$$ (4.1.3.3)
und
$$\tau = t - \frac{1}{c}\left\Vert\vec{r}-\vec{r}_s(\tau)\right\Vert.$$ (4.1.3.4)
Die Potentiale $\Phi$ und $\vec{A}$ bezeichnet man als Liénard-Wiechert-Potentiale.

Vereinfachung der Liénard-Wiechert-Potentiale

Bei der Verwendung der Liénard-Wiechert-Potentiale müssen zur tatsächlichen Berechnung der Kraft $\vec{F}_M$ in Gleichung (4.1.3.1) zwei Ableitungen bezüglich $\vec{r}$ und $t$ bestimmt werden müssen. Die Potentiale $\Phi$ und $\vec{A}$ enthalten aber Abhängigkeitkeiten von $\tau$, wobei $\tau$ eine meist komplizierte und unbekannte Funktion von $\vec{r}$ und $t$ ist. Aus diesem Grund wurden in der Fachliteratur die Liénard-Wiechert-Potentiale bisher immer als das Endergebnis betrachtet. Nicht bekannt war, dass man sie weiter vereinfachen kann, indem man einen mathematischen Kunstgriff verwendet [24].

Zunächst führen wir die Ableitungen der Potentiale $\Phi$ und $\vec{A}$ aus und erhalten unter Verwendung der Definitionen
$$h_1(\tau) := \left(\vec{r} - \vec{r}_s(\tau)\right)\cdot\dot{\vec{r}}_s(\tau) - c^2\,(t - \tau)$$ (4.1.4.1)
und
$$h_2(\tau) := c^2-\dot{\vec{r}}_s(\tau)\cdot\dot{\vec{r}}_s(\tau) + \left(\vec{r} - \vec{r}_s(\tau)\right)\cdot\ddot{\vec{r}}_s(\tau)$$ (4.1.4.2)
die Gleichungen
$$\nabla\,\Phi = \frac{q_s\,c\,h_2(\tau)\,\nabla\,\tau + q_s\,c\,\dot{\vec{r}}_s(\tau)}{4\,\pi\,\varepsilon_0\,h_1(\tau)^2}$$ (4.1.4.3)
und
$$\frac{\partial}{\partial t}\,\vec{A} = \frac{q_s\,\left[h_2(\tau)\,\dot{\vec{r}}_s(\tau)-h_1(\tau)\,\ddot{\vec{r}}_s(\tau)\right]\,\frac{\partial\tau}{\partial t} - q_s\,c^2\,\dot{\vec{r}}_s(\tau)}{4\,\pi\,\varepsilon_0\,c\,h_1(\tau)^2}.$$ (4.1.4.4)
Die Gleichungen (4.1.4.3) und (4.1.4.4) setzen wir nun in die Gleichung (4.1.3.1) ein und erhalten
$$\vec{F}_M = -\frac{q_d\,q_s}{4\,\pi\,\varepsilon_0}\,\frac{c^2\,h_2(\tau)\,\nabla\,\tau + \left[h_2(\tau)\,\dot{\vec{r}}_s(\tau)-h_1(\tau)\,\ddot{\vec{r}}_s(\tau)\right]\,\frac{\partial\tau}{\partial t}}{c\,h_1(\tau)^2}.$$ (4.1.4.5)
Die verbleibenden Ableitungen in Gleichung (4.1.4.5) lassen sich bestimmen, indem man die Differentialoperatoren jeweils auf beide Seiten der Gleichung (4.1.3.4) anwendet. Dadurch erhält man
$$\nabla\,\tau = \frac{\vec{r}-\vec{r}_s(\tau) + \left(\vec{r}-\vec{r}_s(\tau)\right)\cdot\dot{\vec{r}}_s(\tau)\,\nabla\,\tau}{c\,\left\Vert\vec{r}-\vec{r}_s(\tau)\right\Vert}$$ (4.1.4.6)
und
$$\frac{\partial\tau}{\partial t} = 1 + \frac{\left(\vec{r}-\vec{r}_s(\tau)\right)\cdot\dot{\vec{r}}_s(\tau)}{c\,\left\Vert\vec{r}-\vec{r}_s(\tau)\right\Vert}\,\frac{\partial\tau}{\partial t}.$$ (4.1.4.7)
Durch Auflösen der Gleichungen erhält man unter Verwendung der Gleichung $\left\Vert\vec{r}-\vec{r}_s(\tau)\right\Vert = c\,(t-\tau)$ und der Definition (4.1.4.1) die überraschend einfachen Beziehungen
$$\nabla\,\tau = \frac{\vec{r}-\vec{r}_s(\tau)}{h_1(\tau)}$$ (4.1.4.8)
und
$$\frac{\partial\tau}{\partial t} = -\frac{c^2\,(t-\tau)}{h_1(\tau)}.$$ (4.1.4.9)
Diese können nun in die Gleichung (4.1.4.5) eingesetzt werden. Dadurch erhält man
$$\vec{F}_M = -\frac{q_d\,q_s}{4\,\pi\,\varepsilon_0}\,\frac{c^2\,h_2(\tau)\,\left(\vec{r}-\vec{r}_s(\tau)\right) - \left[h_2(\tau)\,\dot{\vec{r}}_s(\tau)-h_1(\tau)\,\ddot{\vec{r}}_s(\tau)\right]\,c^2\,(t-\tau)}{c\,h_1(\tau)^3}.$$ (4.1.4.10)


Verallgemeinerung auf bewegte Empfänger

Zum Abschluss nehmen wir an, dass sich auch die Zielladung $q_d$ bewegt und die Bahnkurve durch $\vec{r}_d(t)$ gegeben ist. Im Schwerpunktsystem dieser Zielladung erscheint es dann so, als würde sich die Quellladung $q_s$ mit der Bahnkurve $\vec{r}_s(t) - \vec{r}_d(t)$ bewegen, sofern man voraussetzt, dass die Differenzgeschwindigkeit zwischen $q_s$ und $q_d$ so klein ist, dass die Lorentztransformation durch eine Galileitransformation approximiert werden kann. Des Weiteren ist $\vec{r}$ im Schwerpunktsystem gleich Null. Wir führen daher zunächst die Ersetzung
$$\vec{r} \to \vec{0}$$ (4.1.5.1)
durch und anschließend die Ersetzungen
$$\vec{r}_s(\tau) \to \vec{r}_s(\tau) - \vec{r}_d(\tau) =: -\vec{r},$$ (4.1.5.2)
$$\dot{\vec{r}}_s(\tau) \to \dot{\vec{r}}_s(\tau) - \dot{\vec{r}}_d(\tau) =: -\vec{v},$$ (4.1.5.3)
und
$$\ddot{\vec{r}}_s(\tau) \to \ddot{\vec{r}}_s(\tau) - \ddot{\vec{r}}_d(\tau) =: -\vec{a}.$$ (4.1.5.4)
Dadurch erhalten wir
$$\vec{F}_M = -\frac{q_d\,q_s}{4\,\pi\,\varepsilon_0}\,\frac{c^2\,\left(c^2-v^2 - \vec{r}\cdot\vec{a}\right)\,\vec{r} - \left[-\left(c^2-v^2 - \vec{r}\cdot\vec{a}\right)\,\vec{v}+\left(-\vec{r}\cdot\vec{v} - c^2\,(t - \tau)\right)\,\vec{a}\right]\,c^2\,(t-\tau)}{c\,\left(-\vec{r}\cdot\vec{v} - c^2\,(t - \tau)\right)^3}.$$ (4.1.5.5)
Nun verwenden wir noch die Beziehung $c\,(t - \tau) = r$ und fassen weiter zusammen. Dadurch gelangen wir zu
$$\vec{F}_M = \frac{q_d\,q_s}{4\,\pi\,\varepsilon_0}\,\frac{\left(\vec{r}\,c + r\,\vec{v}\right)\,\left(c^2-v^2 - \vec{r}\cdot\vec{a}\right) + \vec{a}\,r\,\left(r\,c + \vec{r}\cdot\vec{v}\right)}{\left(r\,c + \vec{r}\cdot\vec{v}\right)^3}.$$ (4.1.5.6)
Ein Vergleich der Kraft $\vec{F}_M$ mit der Weber-Maxwell-Kraft (2.3.1) zeigt, dass
$$\vec{F} = \gamma(v)\,\vec{F}_M$$ (4.1.5.7)
gilt. Die Kraft ist also bis auf einen skalaren und nur von der Differenzgeschwindigkeit $v = \Vert\dot{\vec{r}}_d(\tau) - \dot{\vec{r}}_s(\tau)\Vert$ abhängenden Lorentzfaktor $\gamma(v)$ identisch mit der Weber-Maxwell-Kraft.

Die Idee, anstelle des magnetischen Anteils der Liénard-Wiechert-Potentiale nur einen Lorentzfaktor hinzuzufügen, ergibt sich aus der Weber-Elektrodynamik. Carl Friedrich Gauss erkannte nämlich bereits 1835, dass man eigentlich kein Magnetfeld benötigt, sondern das man die magnetostatischen Effekte mit Hilfe einer speziellen Zentralkraft erklären kann. Formel (4.1.5.6) hat genau die gleichen Eigenschaften wie die Zentralkraft von Gauss. Es fehlt nur noch die richtige Normierung. Durch Hinzufügen des skalaren Lorentzfaktors wird die Idee von Gauss nachträglich in die Maxwellsche Elektrodynamik integriert. Man erspart sich dadurch die Behandlung der B-Feld-Anteile der Liénard-Wiechert-Potentiale, was einerseits die Mathematik vereinfacht und andererseits Widersprüche und Ungereimtheit entfernt.